Benedikt Karus: Anscheinsbeweis beim Dopingvergehen?
SPIEGEL Online veröffentlichte jüngst mehr Hintergründe zum Fall des gesperrten Leichtathleten Benedikt Karus, der von der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA) mit einer Sperre von vier Jahren belegt worden ist. Am 22. August 2016 verhängte ein Schiedsgericht bestehend aus einem Einzelrichter ein hartes Urteil gegen den ehemaligen Deutschen Meister im Hindernislauf Benedikt Karus (Schiedsspruch vom 22. August 2016; Az. DIS-SV-SP-07/15). Schiedskläger war die NADA. Schiedsbeklagter war Benedikt Karus. Karus wurde für den Zeitraum ab dem 17. März 2015 für vier Jahre gesperrt. Eine Ewigkeit im Leben eines aktiven Leichtathleten.
Auf welcher Grundlage urteilte das Schiedsgericht über Benedikt Karus?
Ausgangspunkt für die vierjährige Sperre waren Analysen von Urinproben des Schiedsbeklagten. Sowohl die A-Probe als auch die B-Probe enthielten die Substanz Darbepoetin – ein Derivat von Erythropoetin, was wiederumg hinlänglich bekannt ist als EPO. Die Meßverfahren wurden im Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln nach der Methode des SAR-PAGE Verfahrens durchgeführt. Da der Schiedsbeklagte im Prozess einen Gegenbeweis antreten wollte, ließ der Schiedsbeklagte Karus seinen Urin mit einem anderen Meßverfahren in einem anderen Labor (Anti-Doping Laboratory LSI Medience Corporation) testen (sogenanntes MS-Verfahren/Massenspektrometrie). In diesem Verfahren gibt es keine auffälligen Meßwerte.
Es lagen also zwei unterschiedliche Messergebnisse vor von zwei Laboren. Beide Labore sind übrigens akkreditiert Labore der WADA (Art. 3.2.2 NADC).
Anscheinsbeweis in Dopingverfahren
Prozessrechtlich interessant – und kritisch ist, dass sich das Schiedsgericht im Ergebnis auf den sogenannten Anscheinsbeweis stützte. Weil die A-Probe und die P-Probe das Dopingmittel Darbepoetin enthielten und dies im Messverfahren der Sporthochschule Köln bestätigt wurde, vermutete das Schiedsgericht im Wege des Anscheinsbeweises ein schuldhaftes Handeln des Athelten. Zwar sei es zulässig, dass die Vermutung der Richtigkeit der Analyseergebnisse widerlegt werden können. Dies sei aber dem Schiedsbeklagten im Verfahren nicht gelungen.
Es wird vertreten, dass es zur effektiven Dopingbekämpfung notwendig ist, dass die zuständigen Organisationen nicht die volle Beweislast tragen. Vielmehr wird aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung angenommen, dass bei einem Sachverhalt, bei dem eine positive A- und B-Probe vorliegen, ein schuldhaftes Handeln des Athleten vermutet wird. Wichtig: Die Vermutung des schuldhaften Handelns steht dann nicht endgültig fest, sondern kann dann vom Athleten selbst erschüttert werden.
Im hier vorliegenden Fall ging das Schiedsgericht bzw. Einzelrichter davon aus, dass der Schiedsbeklagte gegen seine persönliche Pflicht verstoßen hatte und verbotene Substanzen in seinen Körper hat gelangen lassen. Das Schiedsgericht war der Auffassung, dass die unterschiedlichen Messergebnisse nicht dazu führen, dass die Vermutung des ersten Anscheins erschüttert ist. Insbesondere stützte sich das Gericht auf die unterschiedlichen Messmethoden und sah letzendlich keinen Widerspruch in den Ergebnissen.
Fazit und praktische Relevanz des Schiedspruchs
Der Schiedsspruch gibt Anlass zu Zweifeln an der Reichweite des Anscheinsbeweises bei Dopingvergehen. Es stellt sich die Frage, welche Maßstäbe an die Erschütterung der Vermutungswirkung zu stellen sind. Der Anscheinsbeweis ist in der prozessrechtlichen Praxis nur bei typischen Geschehensabläufen zulässig. Aber gerade im Bereich des medizinischen Nachweises und bei der Biochemie – und diese Vorgänge bestimmen ja gerade die Messergebnisse von Proben – stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt typische Geschehensabläufe anzunehmen sind. Zumindest müsste die Erschütterung der Vermutung des ersten Anscheins für den Athleten erleichtert werden.
Überdies stellt sich auch die Frage, ob nicht ein Richtergremium (und nicht ein Einzelrichter) bei derart weitreichenden Konsequenzen für junge Athleten eine Entscheidung treffen sollten.
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